Anfang der 2010er Jahre boten einige Flugunternehmen Vielfliegern mit hohem Bonusstatus als besonderen Service an, bei Fragen nicht mit automatisierten Anrufbeantwortern, sondern mit wirklichen Menschen sprechen zu können.
Mitte März diesen Jahres wurde auf Unleash18-Konferenz in London, wo die großen Corporates dieser Welt über die Zukunft der Arbeit und HR Strategien gesprochen haben, ein HR Tech-Startup mit dem Namen „Roborecruiter“ für ihr Automating Recruitment Engagement ausgezeichnet.
Ein Großteil der Kommunikation des Recruiting-Prozesses wird von Chat-Bots erledigt: „Startup RoboRecruiter is connecting clients and candidates through the power of conversation with automated chatbots that can be customized to intelligently reach out to candidates periodically.“
Die Entwicklung und der Einsatz derartiger Tools, Apps und Techniken scheint auf dem ersten Blick dem altbekannten betriebswirtschaftlichen und kapitalistischen Imperativ zu folgen: Alle Möglichkeiten zur Optimierung des Ressourceneinsatzes auszunutzen.
In dieser Logik bedeutet der Einsatzes eines ChatBots wie Roborecruiter, dass den Unternehmen die für die Durchführung des Recruitingprozesses erforderlichen Mitarbeiter nicht mehr zur Verfügung stehen, sie diese nicht an sich binden können und/oder der Einsatz von Mitarbeitern nicht Ressourcen schonend genug ist. Meint: Der Einsatz von Menschen ist zu teuer.
Oder ist es gar ein digitaler Imperativ, der Unternehmen veranlasst, alle Möglichkeiten der Digitalisierung unabhängig von der Qualität der Leistungserbringung auszunutzen? Die Digitalisierung erscheint dann als eine unbedingte Notwendigkeit. Aber niemand weiß genau, welchen Tribut die bedingungslose Digitalisierung verlangt.
Die Form der Kommunikation zwischen Menschen hat durch den Andrang der digitalen Medien, Daten und Devices jedenfalls bereits gelitten. Noch 2013 war WhatsApp ein Nerd-Ding für Eingeweihte. Heute senden Chefs Feriengrüße über WhatsApp, um damit getarnte Arbeitsideen zu versenden. In der Konsequenz empfinden sich viele zunehmend als Objekt digitaler Tools und kommen vor lauter E-Mails und WhatsApp-Nachrichten nicht mehr dazu, die Inhalte genau zu lesen und angemessen zu beantworten. Von der Wahrung üblicher Höflichkeitsformen wie Anrede und Schlussformel ganz zu schweigen.
Die Erfahrungsmöglichkeiten direkter Kommunikation werden digital verdunkelt. Das Gegenüber ist vielfach nicht die Wirklichkeit, sondern Virtualität. Anteilnahme und Vielschichtigkeit der sozialen und natürlichen Welt wird durch virtuelle Anreize eingeschränkt. Das Wesen der Kommunikation liegt u.a. in der Bestätigung einer Beziehung durch Erwidern durch das Gegenüber. Was sagt dies über ein Unternehmen aus, dass die Aufnahme einer Beziehung mit einem potentiellen Mitarbeiter einer Maschine überlässt?
Die digitale Ära ist geprägt vom Schnellen und Vorläufigen. Ausreichend Zwischenschritte, die Zeit für Reflexion lassen und einer dem Anlass der Kommunikation angemessenen Form der Erwiderung Raum geben, sind kaum möglich. Die Leichtigkeit der digitalen Kommunikation verführt zu einer Unüberlegtheit und Lässigkeit, die häufig nicht nur die Verletzung der Grenzen guter Manieren und des Anstands, sondern auch die Entstehung notwendigen Vertrauens im Teamwork behindern.
Wie steht es dann erst mit dem notwendigen Beziehungsaufbau zu potentiellen Mitarbeitern, was sagt dies über das vorherrschende Menschenbild des Unternehmens aus? Das Digitale trägt dazu bei, Welten vorzutäuschen, die u.U. niemals Wirklichkeit erlangen. Die Schärfung der Sinne kann sich nicht entfalten, wenn man von einem Ufer zum anderen gelangen kann, ohne eine Brücke zu überqueren. Gerade die Phase des Recruiting ist aber einem grundlegenden Beziehungsaufbau und der Klärung des Person-Job-Fit bzw. Organisation/Team-Fit gewidmet.
Wenn Unternehmen es Ernst meinen mit Employer Branding, Mitarbeiterbindung etc. im hart umkämpften Markt um die besten Talente, sollten sie der wichtigsten Ressource für ihre Zukunft einen hohen Bonusstatus geben und Menschen mit ihnen sprechen lassen.
Aber wie sagte bereits Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis“):
„Alles, was schon existiert, wenn wir geboren werden, nehmen wir als normal wahr. Alles, was bis zu unserem 30. Geburtstag erfunden wird, finden wir spitze. Alles, was nach unserem 30. Geburtstag erfunden wurde, ist gegen alle Naturgesetze und läutet das Ende der Zivilisation ein.“
Und was ist jetzt die Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit ChatBots? Siri sagt, “ Interessante Frage, Stefan!“ Ich sage: 42!
Stefan Apfelbaum ist Rechtsanwalt, Systemischer Coach und Berater. Als zertifizierter Management Drives Partner liegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in Projekten zur Team- und Organisationsentwicklung.