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Kontinuierliche Verbesserung durch strukturiertes (Team-)Feedback
Hand auf’s Herz: Wann nehmen Sie sich als Führungskraft mal die Zeit, um mit Ihrem Team über die Effektivität der Zusammenarbeit zu sprechen oder Prozesse und Aufgaben in Frage zu stellen? Und zwar explizit über diese Themen, nicht in einer Seitenbemerkung  irgendeines anderen Meetings.

Das klassische Projektmanagement kennt dafür immerhin die ‚Lessons learned’, also was beim nächsten Projekt besser laufen könnte. Nur leider kommt die Erkenntnis eben immer etwas spät, für das aktuelle Projekt bringt sie dann nichts mehr. Und wer weiß, ob das Projekt-Team in der Konstellation jemals wieder zusammenkommt.

Im agilen Umfeld gibt es dafür die Retrospektiven. Eine Retrospektive ist eine geschützte Zeit, um Hindernissen oder Blockaden im Team und in der Arbeit im laufenden Prozess auf die Spur zu kommen. Damit wird einem Scrum-Grundsatz Rechnung getragen: Inspect & Adapt. Das heißt, wir betrachten regelmäßig unsere Zusammenarbeit kritisch und überlegen, welche Anpassungen wir vornehmen können, um noch besser und effektiver zusammenzuarbeiten.

Vorteile der Retrospektiven: 
•      Die Zusammenarbeit im Team verbessert sich.
•      Ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung entsteht.
•      Das Aufstauen von Frust wird vermieden.
•      Es gibt einen Raum, um Themen im Team offen anzusprechen.
•      Maßnahmen können entwickelt werden, um ein echtes Team zu werden.

Damit sich diese Wirkung einstellen kann, muss die Retrospektive unbedingt regelmäßig stattfinden, im Projektverlauf mindesten alle 2 bis 4 Wochen. Für Teams ohne laufende Projekte kann die Retrospektive auch in größeren Abständen durchgeführt werden, mindestens aber 2x jährlich. Je häufiger, desto besser, damit Besprochenes nicht aus dem Blick gerät und Verbesserungen tatsächlich umgesetzt werden.

Je nach Team-Größe sollte für eine Retrospektive 60-90 Minuten veranschlagt werden. Das Treffen folgt dabei einer bestimmten Struktur.

1. Warm Up
Für ein sinnvolles Ergebnis ist es unerlässlich, eine offene Atmosphäre zu schaffen. Es empfiehlt sich, mit einer kurzen Warm-Up-Frage zu starten, bei der jeder aktiv werden muss, wie zum Beispiel die so genannte Wetter-Abfrage:
Wie nehmt ihr die aktuelle Wetterlage im Team wahr, befinden wir uns in einem Hoch- oder eher in einem Tiefdruckgebiet?
Dazu können Sie Karten mit Sonne, Nebel, Wolken – und was Ihnen sonst noch so einfällt – bereit legen, und von den Teilnehmern ein Wetterbild erstellen lassen, dass Sie dann erläutern. Die Teilnehmer bereiten sich innerlich auf die folgenden Phasen vor, und Sie als Moderator erhalten ein erstes Stimmungsbild.
2. Informationen sammeln – Lösungen entwickeln
Im Anschluss werden – in der einfachsten Variante – 3 Fragen im Team beantwortet:
  • Was ist gut gelaufen?
  • Was ist schlecht gelaufen?
  • Was können wir besser machen?

Dabei gibt es keine Hierarchie. Alle Anmerkungen haben das gleiche Gewicht – egal wie ‚groß’ die Anmerkung erscheint oder von wem sie kommt. Nur so kommt ein Gesamtbild vom ganzen Team zustande. Die Antworten können zu diesem Zeitpunkt in loser Form ausgetauscht werden.

Um aus den gesammelten Informationen Verbesserungen zu entwickeln, kann das Plus-Delta-Vorgehen eingesetzt werden. Es besticht vor allem durch seine Lösungsorientierung: Anstatt wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf die negativen Punkte zu starren, werden Kritikpunkte direkt in Verbesserungsvorschläge umgewandelt. Und das geht so:

  • Der Moderator bereitet ein Board mit zwei Spalten vor: „+“ für Stärken/Positives und „“ für Verbesserungsvorschläge.
  • Die Teilnehmer bekommen (fünf bis zehn Minuten) Zeit, auf Post-its Punkte für die beiden Spalten zu notieren.
  • Bei einer Teilnehmeranzahl von mehr als fünf kann das Team in mehrere Kleingruppen à zwei bis vier Personen aufgeteilt werden. Das hat den Vorteil, dass ggf. der Diskussionsbedarf eines Einzelnen nicht in der großen Gruppe behandelt werden muss, sondern vorab thematisiert wird.
  • Anschließend hängen die Teammitglieder die Zettel an das Board, jeder immer einen positiven Aspekt und einen Verbesserungsvorschlag im Wechsel. Dabei sollte man jeweils kurz erläutern, worum es geht, ohne jedoch Diskussionen über einzelne Punkte entstehen zu lassen.

Im übrigen gilt im agilen Umfeld die Annahme: Jeder hat die bestmögliche Arbeit geleistet, die er oder sie leisten konnte, und zwar unabhängig davon, welche offenen Punkte identifiziert werden. Schuldfragen haben in einer Retrospektive nichts zu suchen, genauso wie das Abweisen von Verantwortung. Der Blick wird nie länger als nötig in die Vergangenheit gerichtet, die sowieso nicht mehr zu ändern ist. Bei der Retrospektive geht es nur darum, was wir in Zukunft besser machen können.

3. Weiteres Vorgehen festlegen

Jetzt gilt es, die Lösungsvorschläge zu bewerten und zu priorisieren, zum Beispiel durch Verteilen von Punkten. Ganz im Sinne der agilen Werte „Fokus und Einfachheit“ sollte sich das Team nicht mehr als zwei bis drei Verbesserungen vornehmen – umso wichtiger ist es, die Prioritäten klar zu benennen. Übrigens ist es gerade für die Akzeptanz von Verbesserungsvorschlägen wichtig, deutlich zu machen, dass die gefundenen Lösungen vorläufig sind und erst ausprobiert werden: „Lasst es uns bis zur nächsten Retrospektive testen, dann können wir es ggf. wieder rückgängig machen.“

4. Abschluss – Danke und Feedback
Die letzte Phase der Retrospektive dient vor allem dazu, das Team mit einem guten Gefühl aus dem Meeting zu entlassen. Um das Meeting mit einer positiven Stimmung zu beenden, kann am Ende jeder ein Dankeschön aussprechen. Diese Danke kann an eine Person oder auch an das ganze Team gerichtet sein. Es kann sich auf einen spontan mitgebrachten Kaffee am Vortag beziehen oder auf den Anstoß zu der lang gesuchten Lösung – wichtig ist nur, dass es ernst gemeint ist und auch so ausgesprochen wird. Um dem Team den Einstieg in dieses Stadium der Retrospektive zu erleichtern, kann der Moderator mit einem ernstgemeinten Danke an einen Teilnehmer beginnen: „Ich wollte dir, Danny, mal explizit dafür danken, dass du in unseren Meetings immer den Blick für die Struktur behältst.“

Die Erfahrung zeigt, dass ein solches Dankeschön beim ersten und zweiten Mal ungewohnt ist und den Mitgliedern schwerfällt. Trotzdem ist die Wirkung schon beim ersten Mal durchaus positiv.

Feedback zur Retrospektive
Damit auch die Retrospektive eine Chance zur stetigen Verbesserung hat, sollten die Teilnehmer am Ende ihren Eindruck wiedergeben: „War das Meeting heute für dich sinnvoll oder eher Zeitverschwendung?“ Am schnellsten ist die Daumen-Abfrage:
  • hoch  – Das Meeting war sehr effizient und sinnvoll
  • mittel  – Die investierte Zeit spiegelt den Nutzen des Meetings wider.
  • runter  – Das Meeting war Zeitverschwendung.

Ist die Bewertung weniger gut ausgefallen oder möchte man mehr Informationen erhalten, als diese pauschale Kurzabfrage hergibt, empfiehlt es sich, die Teilnehmer zusätzlich explizit nach positiven Elementen und Verbesserungsvorschlägen bezüglich der Retrospektive zu fragen.

Und last but not least: Einen Folgetermin vereinbaren – und einhalten!

Was bringt es?

In Gesprächen mit agilen Teams habe ich oft gehört, dass für sie die Retrospektive das Herzstück der agilen Zusammenarbeit darstellt. Die inneren Widerstände sind hier sicherlich für viele am größten, weil die Retrospektive viel persönliche Offenheit und Einsatz fordert.

Und gerade darum ist auch der Gewinn am höchsten: Wenn wir nicht regelmäßig überprüfen und offen diskutieren, wie unsere Zusammenarbeit funktioniert, können wir unmöglich sicherstellen, dass wir als Team tatsächlich an einem Strang ziehen und effektiv zusammenarbeiten. Gleichzeitig kommen über die regelmäßige Reflexion immer wieder neue Verbesserungen in Gang, und seien sie auch noch so klein. Wenn man sie nur lange genug durchzieht, bewirken viele kleine Schritte insgesamt gewaltige Veränderungen!

Weitere Artikel aus der Reihe ‚Agiler führen‘:

Agiler führen #1: Es muss nicht immer Scrum sein.

Agiler führen #2: Das Kanban-Board

Agiler führen #3: Daily Stand Up

Isa Triesch ist Systemischer Coach und Beraterin. Sie hat Germanistik studiert und ist zertifizierter Berater für Management Drives.
Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Coaching von Fach- und Führungskräften sowie Beratung im Rahmen von Veränderungsprojekten der Team- und Organisationsentwicklung.

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